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Der blaue VW-Bulli auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist noch in Paderborn zugelassen. „Das bleibt auch so“, sagt sein Halter – obwohl der nun eine Berliner Adresse hat. „PB passt doch zu Prenzlauer Berg“, meint Michael Geymeier, während er die Eingangstür des „Treffpunkt“ in der Kuglerstraße aufschließt. Dahinter wartet der nächste fahrbare Untersatz mit dem roten Heilsarmee-Logo, diesmal ohne Zulassung. Das Lastenrad ist funkelnagelneu. Eine hohe Einzelspende habe die Anschaffung ermöglicht, erklärt der Chef, „mein Ziel ist es, damit raus in den Kiez zu fahren und Essen auszuteilen“. 60 Liter Suppe passten rein, hat er ausgerechnet.
Das ist neu – und es trifft den Bedarf. Auf dem Infoblatt, mit der Michael Geymeier auf finanzielle Unterstützer zugeht, steht etwas sperriger „aufsuchende Straßensozialarbeit“. Christlich übersetzt: Kirche geht zu den Menschen. „Mission heißt nicht, dass ich mit der Bibel herumlaufe. Mission heißt, ich bringe die Leute an einen Tisch, in die Gemeinschaft. Dorthin, wo Gott schon ist.“ Bei Jesus sei schließlich auch viel über Essen in Gemeinschaft gelaufen. Dass die Heilsarmee als Kirche wahrgenommen werde, nicht als reine Wohltätigkeitsorganisation, ist dem 60-Jährigen wichtig.
Der Treffpunkt für Menschen mit geringem Einkommen, die sonst alleine und vielleicht nur vor einer Stulle am Küchentisch säßen, ist das gleichnamige Café. Gegründet wurde es Anfang 1991. Voriges Jahr ging sein Betreiber in den Ruhestand. Michael Geymeier und Ehefrau Sabine, vom Dienstgrad Major und Majorin der Heilsarmee, haben das „Treffpunkt“ übernommen und sind nun dabei, ihm ein neues Profil zu geben. In der Ecke des Gastraumes steht ein Lesepult aus Acrylglas, das sonntags zum Gottesdienst unter das Holzkreuz an der Wand gerückt wird. Ein neues Stück Inventar, „bei Ebay gekauft“, sagt der Chef und zwinkert. Weil der Bezirk Pankow die Förderung der kirchlichen Einrichtung stark reduziert hat, sind Improvisation und Ideenreichtum beim Fundraising gefragt. Über das Gebet hinaus wird getrommelt – nächstes Etappenziel: Michael Geymeier möchte einen Berliner Gastronomen auftun, der ihm fünf bis sechs ausgemusterte Tische sponsert. 23 Sitzplätze hat das Café. In den frisch geweißelten Räumen gibt es ein Wochenprogramm mit Gottesdienst, Bibelgespräch und – neu seit Oktober: einem Filmnachmittag.
Vorher teilen Geymeiers warmes Essen aus. Alle Lebensmittel sind Spenden der Berliner Tafel oder kommen vom Foodsharing. Einen Tagesmenüplan wie in den Cafés oder Restaurants ein paar Schritte weiter an der Schönhauser Allee gibt es in der Kuglerstraße 11 nicht, „weil ich immer erst gegen 15 Uhr weiß, was ich dahabe“, begründet der Koch. Nach Möglichkeit gebe es Salat dazu. Immer gesetzt: der Nachtisch. Der bislang einzige ehrenamtliche Helfer des Ehepaares, im Brotberuf Bäcker, stiftet auch mal selbstgebackenen Kuchen. „Wer es sich leisten kann, bezahlt dann 50 Cent für ein Stück“, erzählt Sabine Geymeier, gelernte Sozialarbeiterin. Eine kleine Geste, mit denen die Menschen aussagten: Wir sind es euch wert, dann ist es das uns wert. Serviert wird im „Treffpunkt“ auf Ikea-Geschirr, plastikfrei – für die Umwelt und weil es die Tischgemeinschaft aufwertet. Noch sind es wohnungslose Menschen und Senioren, überwiegend Männer, die das Angebot nutzen. Gerne hätten die Betreiber eine Schnittstelle im Kiez, die von der Nachbarschaft gleichermaßen genutzt wird. Bisher klopfen Anwohner nur, wenn sie Kleiderspenden bringen, die umgehend an die Bedürftigen weitergereicht werden.
Michael Geymeier ist in einer Gastronomenfamilie in Kassel groß geworden. Von der Gasthausmission berichtete ihm ein Kollege. Seitdem ist er Mitglied. „Koch war ich schon, bevor ich Koch war“, erinnert er sich daran, früh mitgeholfen zu haben. Für die Heilsarmee, wo er seine theologische Ausbildung absolviert hat, war er in Paderborn, Bielefeld und Kassel tätig – zugleich ist der Prenzlauer Berg nicht die erste Adresse des Paares in Berlin. Mitte der 1990er Jahre lebten Michael und Sabine Geymeier schon einmal in Berlin und führten das (inzwischen aufgegebene) Heilsarmee-Café im Soldiner Kiez im Wedding. Die Rückkehr in die Hauptstadt nach 30 Jahren war beides, „Erlebnis und Schock“, sagt Michael Geymeier: „Die sanierten Häuser auf der einen und die Not auf der anderen Seite. Die Armut hat zugenommen.“ Deshalb will er stärker nach draußen gehen. Dorthin, wo Gott schon ist.